Nach mittlerweile guten anderthalb Wochen, die wir vor Ort in Belgrad arbeiten, hat unser Projekt klare Strukturen angenommen. Die Arbeit verläuft parallel in den Parks und in den Mühlen der Bürokratie. Während wir jeden Tag ein zu eins mit den Schutzsuchenden interagieren, verfolgen wir große Pläne. Aber eins nach dem anderen …
Die größte Gruppe unter den Menschen, die sich zurzeit in Belgrad aufhalten, sind die jungen Männer. Sie haben kaum Chancen, legal weiterzukommen, da die wenigen, die an der Grenze zu Ungarn jeden Tag durchgelassen werden, hauptsächlich die am stärksten gefährdeten sind: Familien, Frauen und Kinder.
Während es verständlich und gut ist, dass diese Gruppen bevorzugt behandelt werden, entstehen dadurch Probleme in Belgrad. Junge Männer, die nicht nur perspektivlos sind, sondern auch in ihrem täglichen Leben kaum Anregungen erhalten, werden anfällig für leichtsinniges Verhalten und gefährliche Entscheidungen. Oft begeben sie sich in die Hände von Schmugglerstrukturen, die ihnen das Weiterkommen versprechen, sie tatsächlich aber gegen viel Geld oft gerade mal bis an die Grenze zu Ungarn geleiten, von wo aus sie allein sehen müssen, wie sie zurecht kommen. In Südungarn werden sie dann meistens von Polizei, Militär oder geduldeten paramilitärischen Gruppierungen aufgegriffen und nicht selten körperlich und seelisch misshandelt, bevor sie nach Serbien zurückgeschickt werden.
Die letzte Woche haben wir in Teilen damit verbracht, die Helferstrukturen vor Ort in Belgrad zu erkunden, um informiert entscheiden zu können, wie wir am effektivsten helfen können, ohne eine Arbeit zu tun, die bereits von anderen Organisationen vollbracht wird. Die Menschen um Miksalište öffnen jeden Tag ihre Türen für Familien und unbegleitete Minderjährige, um ihnen in Kooperation mit „Save the Children“ ein Angebot an Aktivitäten, Nahrungsmittel, Kleidung, Hygieneartikel und sogar medizinische Versorgung anzubieten. Während Organisationen wie „Refugee Aid Serbia“ sich um die Austeilung von Essen und Sachspenden an alle kümmern, helfen „Ärzte ohne Grenzen“ und andere bei Verletzungen und Erkrankungen der Menschen in den Parks. Ein Angebot an Aktivitäten für Männer gibt es bisher nicht. Zwar kommen jeden Tag freiwillige Helfer, um den Menschen eine Zeit lang den Tag zu verschönern, klare Strukturen hat bisher aber niemand geschaffen. Auch wir gehen jeden Tag in die Parks und spielen mit den Menschen Karten, Domino, Volleyball oder Fußball. Überraschenderweise nehmen nicht nur Kinder das Angebot an, auf unserer Decke zu malen. Oft sind wir gerührt davon, mit welcher Versenkung gerade teils gestandene Männer sich Papier und Buntstifte nehmen und ihr zurückgelassenes Zuhause, ihre Landesfarben oder Blumen malen. Manchmal singt jemand dazu.
Mittlerweile haben wir viele Menschen persönlich kennen gelernt und sehen an ihren Armen immer wieder Zeichen des seelischen Schmerzes, denn insbesondere unter den jungen Männern schneiden sich viele ins eigene Fleisch. Psychologische Betreuung ist leider kaum zugänglich.
Neben unseren alltäglichen Aktivitäten bieten wir auch immer wieder etwas besonderes an. Zwei Mal in der Woche stellen wir Plastikwannen und Handwaschmittel bereit, damit die Menschen ihre Wäsche waschen und sich wieder etwas wohler fühlen können. Das Angebot wird dankbar angenommen und die Aktion, von der wir erst dachten, sie würde vielleicht ein paar Stunden anhalten, entwickelte sich zu einer ganztägigen Beschäftigung, nach der nicht nur die Wäsche an den von uns gespannten Leinen wieder strahlte.
Nachdem Alba und Elena am Freitagabend freundlicherweise von einem Geigenhändler zwei Violinen geborgt bekamen, spielten sie am Samstag ein kleines Konzert für die Schutzsuchenden im Afghanen-Park. Gestern wurde immer wieder nach einer Zugabe gefragt, sodass die beiden den heutigen Morgen mit Proben verbringen, um abends mit einem neuen Repertoire wieder auftreten zu können.
Aber nicht nur wir spielen Musik im Park. Vergangenen Dienstag lernten wir bei einem Feierabendbier in einer Belgrader Kneipe zwei Musiker aus Wien kennen, die ihren Urlaub teilweise in Belgrad verbrachten und die wir überzeugen konnten, einmal im Park vorbeizuschauen und ebenfalls für die Schutzsuchenden zu spielen. Vielen Dank an die Jungs von „Hertzinger“!
Diese Woche starten wir mit Englisch-Kursen für Interessierte.
Bei allem, was wir tun, stellen wir immer wieder fest, wie sinnvoll es wäre, diese Angebote aus einer klaren, verlässlichen Struktur heraus anbieten zu können. Deshalb haben wir uns entschieden, Räume in einer Lagerhalle in der unmittelbaren Umgebung des Afghanen-Parks anzumieten. Der Vertrag wird in den nächsten Tagen unterschrieben. Dort errichten wir auf etwa 50 qm ein kulturelles Zentrum, das für alle geöffnet ist und das sich endlich auch einmal an die repräsentativ größte Gruppe richtet, die aber, was die Betreuung angeht, die am stärksten unterrepräsentierte ist.
Hier können Kaffee oder Tee getrunken, Spiele gespielt, gemalt oder musiziert werden. Auch der Sprachunterricht wird dort ein Zuhause finden und eine Kinderecke wird es natürlich auch geben. Wir wollen unsere Räume vor niemandem verschließen! Diese und viele weitere Ideen freuen freuen sich auf ihre Umsetzung. In den Räumen nebenan errichten wir auf ebenfalls etwa 50 qm eine Holzwerkstatt, in der von Holzspielzeug bis zu Möbeln alles gebaut werden kann, was die Fantasie hergibt.
Mit unserem kulturellen Zentrum und der Werkstatt geben wir den Menschen nicht nur etwas zu tun, sondern auch das Gefühl zurück, mit ihrem Leben gestalterisch umgehen zu können.
Wir hoffen, mit unserem Projekt auch Menschen aus der Belgrader Bevölkerung zu erreichen, sodass ein Raum entsteht, der auch der interkulturellen Begegnung dient, sodass Vorurteile und Berührungsängste abgebaut werden.
Natürlich macht so ein aufwändiges Projekt nur Sinn, wenn es langfristig angelegt ist. Wir selbst können zwar nur bis Ende September in Belgrad selbst aktiv sein, das Projekt wird aber von „Save the Refugees“ weitergeführt werden, einer serbischen NGO, mit der wir eng zusammenarbeiten. Leo, der Kopf von „Save the Refugees“, hat sich nicht nur zu einem guten Freund entwickelt, sondern auch als eine unschätzbare Hilfe erwiesen.
Des weiteren sind mehrere Benefiz-Veranstaltungen in der Planung, von denen aber erst berichtet wird, wenn es soweit ist … 😉
Wer von Deutschland aus aktiv sein möchte, kann uns mit Informationen helfen oder durch Geld- oder Sachspenden.
Wessen Talente sich durch unsere Arbeit angeregt fühlen, der/die kann unser Team vor Ort natürlich gerne verstärken!
Verfasst von Henry
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