Wieso machen wir das Alles eigentlich? Sind wir „Voluntouristen“? Kennen wir noch den Unterschied zwischen „Holidarity“ und „Solidarity“? Was treibt uns neben der politischen Motivation und unserem Mitgefühl überhaupt nach Belgrad, um Treppen zu bauen, Waschmaschinen zu kaufen und mit Flüchtenden Karten zu spielen? Es ist offensichtlich, dass man darüber kilometerlange Blogposts schreiben könnte. Ich mach’s kurz.
Es ist mir nicht egal, wieso Menschen an Fluchtstationen fahren, um Flüchtende zu unterstützen. Profilierung, Sensationsgeilheit, Festivalfeeling in Camps, abwärtsgerichtete Selbstvergleiche – das sollten nicht die Gründe sein. Aber ich weiß auch, dass man einige dieser Dinge nur schwer vermeiden kann. Und ich sehe nichts Schlechtes dabei, wenn jemand seine Zeit bei einem „Hilfseinsatz“ auch genießt.
Deshalb schreibe ich über nicht-altruistische Motive, die für mich eine große Rolle spielen:
Erlebnisse.
Fast jeden Tag erleben wir hier etwas, das wir vielleicht unseren Enkeln erzählen. Jeder Tag fühlt sich an wie eine Woche und jede Woche wie ein Tag.
>Nachdem wir für unser Blumenbeet eine größere Menge Erde transportiert haben, ist der Rigarbus absolut dreckig. Eine kurze Internetrecherche später entscheiden wir uns für die Waschanlage mit dem Namen „Extreme Wash“. Einen passenderen Namen kann ich mir nicht vorstellen. In einem Hinterhof werden wir direkt in die kleine Halle eingewunken. Aber wo ist die Waschanlage? Zwei junge Männer springen uns entgegen, gut gelaunt und motiviert.
„inside or outside?“ – „both, how much is it?“
Einer der Männer bringt einen Zettel und schreibt darauf den unverschämt günstigen Preis für eine komplette Fahrzeugreinigung. Wir waren eigentlich davon ausgegangen, zumindest den Innenraum selbst zu reinigen, wie es an deutschen Tankstellen üblich ist. Aber nicht nur, dass wir durch das unschlagbare Angebot zur Untätigkeit gezwungen werden. Der erste Arbeitsschritt unserer neuen Helden besteht darin, uns jeweils einen Sessel inklusive Polsterung aufzustellen. Aussicht natürlich aufs Auto.
Was wir in der darauffolgenden halben Stunde zu sehen bekommen, ist besser als Jackie Chan, uralter Slapstick und DMAX zusammen. Die Türen werden aufgerissen und mithilfe eines wirklich heftigen Hochdruckreinigers schwimmt der Dreck der letzten Transporte aus der Heckklappe heraus.
Wir verabschieden uns und wollen endlich zum Hostel fahren. Es ist schon dunkel und müde sind wir auch. Aber irgendwas hört sich komisch an. Als ob jemand im Hinterraum weiterputzt oder zumindest eine Schüssel mit Wasser trägt. Wir können die Geräusche überhaupt nicht einordnen und sprechen unsere Helden darauf an. Die serbische Antwort könnte in etwa gelautet haben „Ja, das ist das Putzmittel das da so riecht. Schön, oder nicht?“. Jedenfalls brauchten wir noch eine Weile um deutlich zu machen, dass es Geräusche sind, die uns beunruhigen. Zum Glück verstehen wir das serbische Wort катализатор (Katalysator) und auch, dass beim Hochdruckreinigen wohl Wasser hineingelangt ist. Gut, wird auf der nächsten Autobahnfahrt sicher wieder verdampfen. To Do: Ausflug auf die Autobahn bevor wir ihn verkaufen. Aber nicht mehr heute.<
Projekte selbstverantwortlich verwirklichen.
Ob wir einfach mal einen Verein gründen, eine Schotterstraße bauen, ein Kulturzentrum einrichten oder in einer Woche 500 Schlafplätze organisieren – wir können selten jemanden bitten, Entscheidungen für uns zu treffen. Verantwortung motiviert mich.
>Als wir Mitte November in Idomeni ankommen und den ersten Schrecken überwunden haben, versuchen wir herauszufinden, was am nötigsten gebraucht wird. Wir entscheiden uns dafür, Unterkünfte für einge der ca. 3000 Menschen zu bauen. In den folgenden Tagen investieren wir 2500 Euro in einem Baumarkt und bauen 12 Notunterkünfte nach einem materialsparenden und transportablen Prototypen. Alleine der Transport ist eine Herausforderung: 80 km schlechte Straße mit großer Menge Bauholz auf dem Dach. Außerdem entscheiden wir, die aufgebrochenen Eisenbahnwaggongs am Bahnhof mit Gasöfen zu beheizen. Wen sollten wir um Erlaubnis bitten? Hilfsorganisationen und staatliche Autoritäten sind froh darüber, dass es eine temporäre Lösung für 500 Menschen gibt, die wir mit einem Schlafplatz versorgen können.<
Freundschaften.
In der Regel sind Flüchtende auf unsere Hilfe angewiesen. Es ist schwer, aus diesem starken vorgegebenen Verhältnis auszubrechen und echte Freundschaften aufzubauen. Aber je mehr man sich auf die Situation der Flüchtenden einlässt, zum Beispiel selbst nicht in einem schicken Hostel wohnt oder aus besseren Bechern trinkt, desto einfacher wird es. Bei allen Versuchen, sich auf eine gleiche Ebene zu begeben, darf man aber nie vergessen, wie ungleich unsere Situation ist.
>Das war kein schöner Tag für mich. Eigentlich hat es gut angefangen, mit ein paar Erfolgserlebnissen. Die Treppe wurde endlich fertig und ist sogar stabil. Aber dann habe ich versucht, das Schloss an der Fahrertür zu reparieren, weil es sich nicht mehr aufschließen ließ. Klassischer Fall von „kaputtreparieren“. Jetzt geht gar nichts mehr, alles ist verbogen. Die Tür rastet nicht mehr ein. Für den Übergang binden wir die Tür mit einem Gürtel am Fahrersitz fest, damit sie in Rechtskurven nicht auffliegt. Wegen des Rückschlages sitze ich ein wenig deprimiert im Garten, als Habib sich zu mir setzt. Wir haben schon oft zusammen im Garten gesessen und über Gott und die Welt geredet. Am Vormittag hat er mitgeholfen, eine Dichtung am Auto zu ersetzen. Er erkennt direkt, dass mir die kaputte Tür nicht aus dem Kopf geht und bietet mir eine Kopfmassage an. Kopfmassage? Kann nicht schaden, denke ich mir. Ich weiß nicht, ob er weiß, was er tut aber es fühlt sich gut an. Erst die Schläfen, dann herunter zum Nacken, die Schultern entlang und schließlich die Arme bis zu den Händen. Ob meine Muskeln hinterher entspannter sind, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob es eine Rolle spielt. Jedenfalls denke ich jetzt mehr an meine wackelnde Kopfhaut als an das Auto.<
Verfasst von Martin
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