Der Arbeitskreis politische Bildung führt regelmäßig Workshops und Bildungstage an Schulen zum Thema Flucht & Asyl durch. Unsere Materialien beziehen wir von Bildungsangeboten und Trägern der politischen Bildung, aber auch von staatlichen Institutionen wie zum Beispiel dem Deutschen Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments. Dieses hat Rollenspiele zu fünf Sachverhalten veröffentlicht, darunter das Thema „FREIZÜGIGKEIT – Grenzen schließen wegen Flüchtlingen?“.

Beim Durchgehen des frei verfügbaren Materials sind uns einige Dinge aufgefallen, die wir als unvereinbar mit der Bildungsarbeit sehen, die zu einer demokratischen Meinungsbildung fern von Pauschalisierungen und verachtender Rhetorik beitragen soll. Deswegen haben wir unsere Kritikpunkte in einem offenen Brief an das Verbindungsbüro formuliert, den wir außerdem hier auf unserem Blog veröffentlichen.

„Sehr geehrte Damen und Herren,

als Verein, der sich mit den Themen Flucht und Migration auseinandersetzt und dazu regelmäßig Workshops an Schulen und anderen Bildungsträgern veranstaltet, haben wir uns kürzlich auch mit dem Rollenspiel: „Freizügigkeit – Grenzen schließen wegen Flüchtlingen?“ auseinandergesetzt, das auf der Webseite des Deutschen Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments zum freien Download zur Verfügung steht.

Uns sind dabei diverse Punkte aufgefallen, die wir im Folgenden gerne näher ausführen möchten, um auf diese Weise zu einer weniger polarisierenden und pauschalen Meinungsbildung durch eben solche Rollenspiele beizutragen.

Zunächst finden wir es äußerst schwierig ein Rollenspiel anzubieten, das ein so komplexes Thema zum Inhalt hat, ohne die Schüler*innen im Vorfeld angemessen über die Thematik aufzuklären. Hierzu bedarf es mehr als zweier kurzer einführender Texte, die in unseren Augen neben ihrer Kürze das Thema viel zu undifferenziert und vereinfacht darstellen. Zudem wird sich Begrifflichkeiten bedient, die starke emotionale Reaktionen hervorrufen und dadurch den subjektiven Eindruck von Flucht als primär europäische Thematik weiter verstärken. Stattdessen hätte man die Situation in Europa zumindest in Ansätzen in den globalen Kontext setzen können. Formulierungen wie „Sie kamen täglich zu Tausenden […]“ verzerren die politische Realität und sorgen schon zu Beginn des Rollenspiels für eine frühzeitige Meinungsbildung der Teilnehmer*innen. Ähnlich steht es mit den allgemeinen Hintergrundinformationen. Hier verwirrt, dass zunächst Art. 16a GG uneingeschränkt Asyl gewähren soll, sodann aber eingeräumt wird, dass durch die umfangreiche Drittstaatenregelung in Absatz 2 f. dies nicht für Flüchtende gilt, die unmittelbar aus oder über sichere Herkunftsstaaten eingereist sind.

Ebenfalls äußerst ungeschickt ist die – obgleich unbeabsichtigte – Kontextualisierung von Flucht mit Kriminalität bezüglich der kurzzeitigen Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Auch hier wirkt es, als wäre bei der Formulierung weniger auf den Rahmen des Rollenspiels und auf eine vor allem neutrale Vermittlung gegenüber den Schüler*innen, als auf die wahllose Wiedergabe von Information geachtet worden. Anstatt präzise und verständlich bestimmte rechtliche Sachverhalte zu erläutern, wird sich auch hier, scheinbar zum Zweck der besseren Veranschaulichung, Pauschalisierungen bedient, die das Thema auch an dieser Stelle unnötig emotional aufladen. Es entsteht der Eindruck, als sei sich nur ungenügend mit der Vermittlungsweise der Inhalte und deren Wirkung auf die Schüler*innen auseinandergesetzt worden.

Dieser verstärkt sich nur noch mehr im Hinblick auf die einzelnen Rollen. Die einzelnen Charaktere scheinen sich ihre Meinung nicht in sachlicher Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern vielmehr aus einer emotionalen Reaktion heraus gebildet zu haben, die je nach Rolle entsprechend unterschiedlich ausfällt. Auffällig ist hierbei, dass die Rollen trotz ihrer beruflichen Vielfältigkeit einfachen Mustern entsprechen; unabhängig ob Hausbesitzer, Bürgermeisterin oder Mitglied des europäischen Parlaments, sie entsprechen zumeist gesellschaftlichen Stereotypen wie etwa „Gutmenschen“, dem „rechten Pöbler“ oder der unsicheren Mutter, die sich um ihre eigenen Kinder sorgt. Alternativen zu diesen in dem öffentlichen Diskurs über die Thematik ohnehin schon viel zu präsenten Vorurteilen werden nicht angeboten. Damit wird das Thema Flucht noch weiter in einen lediglich emotionalen, unsachlichen Kontext gerückt, der es den Teilnehmer*innen zudem erlaubt, die angenommenen Rollen unreflektiert in Diskussion zu artikulieren, ohne dabei auf Tatsachen zurückgreifen zu müssen. Es besteht die Gefahr, dass sich auf diese Weise bereits gebildete Meinungen und Stereotype verstärken und sich somit – anstatt kritisch hinterfragt zu werden – nur noch weiter in den Köpfen der Schüler*innen verfestigen oder überhaupt erst gebildet werden. Die anschließende Reflexionsrunde vermag ebenfalls nichts daran zu ändern, denn wie dargestellt bietet die Diskussion sachlich keinen Mehrwert.

Abschließend lässt sich sagen, dass bezweifelt werden kann, dass das Rollenspiel einer weltoffenen, kritischen und umfänglichen Bildung von Schüler*innen förderlich ist. In den meisten Fällen wird die Diskussion daher für keine*n der Schüler*innen eine horizonterweiternde Wirkung haben, anstatt für Frustration und Verkapselung in der eigenen Meinung sorgen. Es stellt sich ernsthaft die Frage, was mit diesem Rollenspiel bezweckt werden soll; eine pluralistische Erkenntnisvermittlung mit dem Ziel einer offenen, sachlichen und reflexiven Schüler*innenbildung scheint es nicht zu sein.

Der Arbeitskreis Politische Bildung des Rigardu e.V.“

vom AK Politische Bildung

Kategorien: Allgemein

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