Als Fabio und ich am Mittwochabend nach den Überresten unserer Straße sehen wollten und einige Zeit vor dem Sandstreifen standen, auf dem noch vereinzelt Steine lagen, wurde wir von 4 Pakistanis zum Tee in die Hütte eingeladen. Es war das erste Mal, dass wir uns längere Zeit in einer bewohnten Unterkunft aufgehalten haben. Die Innenwände waren nachträglich mit mehreren Schichten Decken abgehängt und die Tür bestand aus einem aufgeschnittenen Schlafsack mit Reißverschluss. Wir kamen mit Said-Hussein ins Gespräch und erfuhren seine Geschichte. Er ist vor wenigen Wochen erst aus Pakistan geflohen, weil er einer Gruppe von Schia-Muslimen angehörte, die von der Taliban verfolgt werden. Bis zu seiner Flucht hat er selbst aktiv Widerstand geleistet. Wie genau man sich das vorstellen muss haben wir uns nicht getraut zu fragen. Auf seiner Flucht hat Said in Ungarn seine Fingerabdrücke hinterlassen. Ein Asylantrag in Ungarn hätte für ihn keine Erfolgsaussichten, deshalb hat er einen in Italien gestellt. Dieser wurde jedoch negativ beschieden, weil er nach dem Dubliner Abkommen nur dort einen Antrag stellen darf, wo er nach Europa eingereist ist. Seine einzige Chance ist England, wo man auch ohne Papiere vergleichsweise leicht eine schlecht bezahlte Arbeit findet um zu überleben. Weil er aber weiß, wie schwer die Flucht nach England ist, wird Calais für ihn mehr als eine Zwischenstation sein.
Wir saßen einige Zeit bei Tee und Madeleines zusammen, haben den Gerüchten über mögliche Aufstände gegen die Polizei gelauscht und geplaudert, bis wir uns wieder auf den Weg zu den anderen Voluntieren machten.
Der Rest hatte es sich währenddessen in einem Zwischenbau beim Warehouse am Ofen gemütlich gemacht.
Am nächsten Morgen ging der Moscheebau in die nächste Phase. Die Gerüste der Seitenwände wurden mit Holz und Plexiglas verkleidet und der Boden wurde zusammengeschraubt. Da am Donnerstag keiner der großen Transporter verfügbar war, planten wir, alles so weit vorzubereiten, dass es am Freitag im Jungle nur noch zusammengesetzt werden muss.
Parallel dazu warteten Martin und Lea auf den Anruf von dem Maschinenverleih, der wenig später den Bagger und die Walze wieder abholte. Netterweise hatten sie uns am Tag zuvor zugesagt, die Geräte früher zurückzunehmen und nur drei statt der fünf Tagen zu berechnen.
Am Nachmittag waren wir noch in einem Vorort von Calais, wo eine von Freiwilligen organisierte Demonstration stattfand, bei der es darum ging, möglichst viel Krach für Solidarität mit Flüchtenden zu machen. Beim Ankommen wurde uns propt eine Trommel in die Hand gedrückt, auf die wir im Rhythmus zu den Töpfen und Blasinstrumenten schlugen.
Trotz unserer Unlust, Silvester zu feiern, hatten wir uns am Abend zum gemeinsamen Essen beim Afghanen verabredet, bei dem wir schon einmal etwa eine Woche vorher essen waren. Im Anschluss an das Essen gingen wir gemeinsam am Baugrund unserer Straße vorbei, trauerten dem gescheiterten Vorhaben nach und beschlossen, den weiteren Abend am Meer zu verbringen.
Auf dem Weg dorthin fiel uns schon die deutlich höhere Polizei- und Flüchtendenpräsenz auf den Straßen von Calais auf, wobei erstere uns dann dazu zwang, einen Bogen zum Strand zu fahren.
Gleichtzeitig am Abend fand in der Werkstatt eine Silvesterparty statt. Freiwillige hatten aus Planen ein Dach gebaut, Lichter installiert und Dekoriert. Ein französischer Musiker und engagierter Freiwilliger spielte live mit seiner Band. Wir hielten uns nur kurz auf, denn am Feiern eines Datumswechsels lag uns wenig und wir wollten am nächsten Morgen weiterarbeiten.
01.01.16, verfasst von Lea & Martin
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