Seit der letzten Woche ist einiges passiert: Deutschunterricht, Duschen und ein Recyclingworkshop. Von nun an gibt es zwei Mal pro Woche einen Deutschkurs mit Nora von „Hot Food Idomeni“, der begeistert angenommen wird. Endlich ist die Dusche repariert und wird tagtäglich rege genutzt, geradezu überflutet! Der Recyclingworkshop gab die Möglichkeit, sich eine eigene Waschtasche aus PET-Flaschen und einem Reißverschluss zu basteln. Dank großzügiger Spenden haben wir mittlerweile eine Waschmaschine, um die Handtücher fürs Duschen waschen zu können.
Das Centar wird sehr gut aufgenommen. Wie einer unserer Freunde meinte: „Das ist hier der einzige Ort in Belgrad, an dem ich mich wohlfühle.“ So haben wir mittlerweile einige Stammgäste, die jeden Tag kommen und eigene Aufgaben übernehmen. Das sind Dinge wie die Küche sauber zu halten, den Schuppen aufzuräumen, Wäsche aufzuhängen und den Garten zu bepflanzen. Die letzten Abende verbrachten wir gemeinsam damit, zu musizieren und zu tanzen. Damit ist es so, wie wir es uns gewünscht haben. Die Flüchtenden sind nicht mehr unsere Gäste, sondern werden selber Gastgeber, die Verantwortung übernehmen.
Auch unser Team hat sich verändert. Lea und Martin sind zurück nach Deutschland gefahren, dafür ist Simon dazu gestoßen.
Andere Dinge ändern sich leider nicht. Unser fürsorglicher Nachbarn versorgt uns immer noch fast jeden Tag mit Lebensmitteln jeglicher Art. Schade, dass er so schlecht wirft, sodass die Tüten mit alten Bohnen und Nudeln zerplatzen. Dass Eier kaputt gehen beim Werfen dürfte eigentlich klar sein. Aber der Apfel war eine gute Idee. Danke dafür!
Die Lage der Flüchtende bleibt prekär und verschlimmerte sich weiterhin. Häuser, in denen die Menschen Zuflucht gefunden hatten, werden für das Großprojekt „Belgrade Waterfront“ abgerissen. Aus inoffiziellen Quellen haben wir erfahren, dass das Bauvorhaben zum jetzigen Zeitpunkt diese Schritte nicht erfordert, da es auf drei Jahre ausgelegt sei. Damit wurde eine der wenigen Duschmöglichkeiten dem Erdboden gleich gemacht. Somit gibt es keine öffentlich zugängigen sauberen Waschmöglichkeiten mehr, weder für die Körperhygiene noch für Klamotten. Öffentliche Toiletten werden nur mit Bezahlung zugänglich; aus der Not heraus werden Teile der leer stehenden Häuser als „Toilette“ benutzt. Die Verbreitung von Krankheiten geht damit einher. Die ohnehin schon begrenzten Schlafplätze werden immer geringer, sodass es kaum noch vor Regen und Ungeziefer geschützte Orte gibt. In einem offenen Parkhaus neben dem „Afghani Park“ schlafen die Menschen direkt neben der stark befahrenen Hauptstraße und sind Diebstählen und Witterung ungeschützt ausgeliefert.
Viele Geflüchtete sehen das 20 min. entfernte Camp „Krnjaca“ als schlechte aber einzige Alternative. „Überfüllt“, „laut“, „Zu wenig Essen“, „Kaum Platz“ und „Krankheiten“ beschreiben das Camp in wenigen Worten. Es scheint, als versuche die Stadt, den Flüchtenden möglichst wenig Raum zu bieten. Die Parks wurden, wie schon früher erwähnt, umgepflügt und eingezäunt. Paradoxerweise dürfen Hunde auf den „Grün“-flächen ihre Notdurft verrichten, Flüchtende diese jedoch nicht einmal betreten.
Letzte Woche feierten viele der Menschen das muslimische Opferfest, welches unserem Weihnachten von der Bedeutung gleich zu setzen ist und zu welchem wir herzlich eingeladen wurden. Jeglicher Versuch dieses mit Musik und Tanz zu feiern, wurde innerhalb kürzester Zeit durch die Polizei unterbunden. Aufgrund der Lage ist es nicht verwunderlich, dass kaum Flüchtende in Serbien bleiben möchte. Das Ziel lautet Frankreich, Deutschland, England, Österreich – manche haben den langen und gefährlichen Weg dorthin bereits mehrfach bewältigt und wurden wieder zurück geschickt, meist nach Bulgarien, da sie dort das erste Mal registriert wurden und ihren Fingerabdruck dort gelassen haben. Seit der Schließung der Balkanroute im März ist ein legaler Grenzübertritt kaum noch möglich. Das Kontingent von 15 Menschen, welche pro Tag nach Ungarn einreisen dürfen, steht der Zahl von ca. 400 Flüchtenden in Belgrad und 800 Menschen im Camp außerhalb der Stadt und Subotica in Nordserbien gegenüber. Damit gibt es kein Vor, aber auch kein Zurück. Die Fluchtgründe sind vielfältig und zumeist von enormer Gewalt und Verfolgung geprägt. Der Ausweg ist nur der beschwerliche Weg nach Westeuropa. Besonders die bulgarisch-türkische Grenze, das „Tor“ zu Europa, ist schwierig zu übertreten und viele erzählen Geschichten über die Willkürlichkeit und Brutalität, mit der die Polizei die Grenze verteidigt und Menschen verhaftet, um sie zur Registrierung in geschlossenen Camps zu zwingen. Gebrochene Knochen, Bissspuren von Hunden, entzündete Gliedmaßen von Stichen oder Glassplittern sind ein alltäglicher Anblick. Ähnliche Zustände herrschen an der serbisch-ungarischen Grenze, wo Hunde auf Menschen losgelassen werden, Handys zerstört und den Flüchtenden Geld abgenommen wird. Seit einigen Wochen wurde zusätzlich der Grenzzaun verstärkt und 3000 spezielle „Grenzjäger“ wurden von der Orban-Regierung eingesetzt.
Die Situation fördert Schlepperstrukturen und zwingt die Geflüchteten ihr Leben Schleppern anzuvertrauen. In manchen Fällen fehlt das Geld, um die Weiterreise zu bezahlen und das „Vor“ rückt immer weiter weg. Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind geprägt von ihren Erlebnissen. Sie sind nicht nur bloße Zahlen, über welche medial berichtet wird. Es sind Menschen mit Gesichtern und Geschichten, welche von Resignation und Hoffnungslosigkeit über ihre Lage geprägt sind.
Es ist wichtig, dass ihnen ein Raum geboten wird, um für ein paar Stunden abzuschalten, sich abzulenken und um Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das ist das Mindeste an Würde, was wir ihnen zurückgeben können.
Verfasst von Mieke, Johanna, Ariane
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