Nachdem ich den Sommer in Thessaloniki verbracht hatte, um zuvor gesammelte Spenden für Lebensmittel- und Hygiene-Pakete auszugeben und bei der Verteilung dieser zu helfen, wollte ich auch zurück in Deutschland während des Semesters humanitäre Hilfe für Geflüchtete leisten. Daraus entwickelte sich die Idee einen Spendentransport nach Calais zu organisieren.
Aktuell halten sich in der Region Calais-Dünkirchen circa 1.000 bis 1.200 Geflüchtete auf. Für diese Menschen gibt es nicht ansatzweise genug Schlafplätze, insbesondere da viele Unterkünfte erst bei Minusgraden öffnen, was bedeutet, dass Menschen bei nächtlichen Temperaturen zwischen 1 und 2 Grad weiterhin draußen schlafen müssen. Weiterhin kommt es beinahe jeden Tag zu Räumungen durch die französische Bereitschaftspolizei, die widerrechtlich den Menschen ihre wenigen Habseligkeiten abnehmen und sie von ihren Schlafplätzen, zum Beispiel unter Autobahnbrücken vertreiben, auch des Öfteren unter Einsatz von Tränengas und sonstiger physischer Gewalt. Viele Menschen versuchen in Frachträumen von Schiffen und LKWs, nach Großbritannien zu gelangen. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, beispielsweise haben viele dort bereits Familie oder sprechen schon Englisch, von anderen wiederum wurde in einem Land zuvor bereits negativ über den Asylantrag entschieden und sie befinden sich weiterhin auf der Suche nach einem sicheren Platz. Zusammen mit der französischen Regierung schottet sich England jedoch systematisch ab. Für die Abweisung der flüchtenden Menschen stellte die britische Regierung im Januar 2018 Frankreich 50 Millionen Euro bereit. Macron wiederum steht unter starkem innenpolitischem Druck, die Lage in Calais „unter Kontrolle zu bekommen“. Diese Politik wird auf dem Rücken der schutzsuchenden Menschen ausgetragen, die in Calais keine menschenwürdige Behandlung erfahren.1
In Calais gibt es mehrere Organisationen (helprefugees, Care4Calais, etc.), die seit Jahren ehrenamtliche Hilfe leisten und deshalb auf Sach- und Geldspenden angewiesen sind. Auf ihren Websites ist genau angeben, was sie dringend benötigen und was sie nicht annehmen können. Ich startete das Projekt allein, fragte auf Ebay-Kleinanzeigen, diversen Facebook- und Telegram-Gruppen nach Sachspenden und verbreitete die Anfrage in meinem Bekanntenkreis. Die Spenden trudelten nach und nach ein, der Keller bei uns füllte sich und ich verbrachte viele Vormittage und Nachmittage damit, Spenden abzuholen, anzunehmen und durchzuschauen.
Sehr froh war ich, als Rigardu e.V. mir anbot, mich bei dem Transport zu unterstützen und ihren Sprinter zur Verfügung stellte (denn die Spenden passten schon längst nicht mehr in den vorher organisierten T3) sowie einen weiteren Sammelort anboten (denn der Keller war mittlerweile randvoll und nur mit Glück und gutem Zureden hatte ich bisher verhindern können, dass der Hausmeister die im Kellerflur gelagerten Zelte wegschmiss). Wir organisierten zusammen eine Küche für Alle (Essen gegen eine kleine Spende) im Atari (ein Ladenprojekt in Leipzig), bei der noch extra Geld für Hygieneartikel und weitere Massen an Sachspenden zusammenkam, und wir eine große Begeisterung für unser selbstgemachtes Fladenbrot auslösten. Ich habe in der Zeit so viele tolle Menschen kennen gelernt, die mich unterstützten, ihre Nachbarn und Kollegen anhauten, auch zu spenden – auch mal ganz außerhalb der Studi-Blase, in der ich mich sonst aufhalte. Aber ich habe auch viele abschätzige bis bedrohliche Kommentare und Nachrichten erhalten, in denen ich mich rechtfertigen sollte, warum ich nicht für deutsche Obdachlose sammle und dass ich doch bestimmt die Sachen nur für mich haben wolle (ja, ich habe sicherlich ein Faible für Männerhosen in XL und Baby-Skianzüge, ganz klar).
Anfang Dezember war es dann soweit – all die Mengen an Kleidung, Schuhen und Outdoor-Utensilien mussten sortiert und verpackt werden. Unsere Wohnung wurde für einen Tag in eine Packstation verwandelt, bis zu 15 Menschen gleichzeitig halfen (motiviert durch genauso viel Flaschen an Glühwein) und am Ende waren circa 50 Umzugskisten und 20 Müllsäcke bereit für die Abfahrt nach Calais. Von den über 600 Euro Spenden konnte ich Zahnbürsten, Zahnpasta, Desinfektionsgel sowie Baby-Feuchttücher und Studentenfutter kaufen (Zitat des Postboten, der das riesige Rossmann-Paket brachte: „Sie legen wohl sehr viel Wert auf Sauberkeit, was?“) Diese Abfahrt lief auch mehr oder weniger problemlos ab (Tiefpunkt: Wie um Himmels Willen sollen wir die Kisten bis zur Decke stapeln, ohne dass sie uns später auf die Köpfe fallen; Höhepunkt: Gut, dass wir so viel Sperrmüll im Keller aufbewahren, wie die Platten eines alten Bettes, die richtig verbaut genau das verhindern können).
Nachts ging es los mit zwei Freundinnen, die den langen Weg meisterten und uns vor die Tore des ersten Warenlagers brachten, welches zu den Organisationen helprefugeesund womenrefugeescentre gehört. Schön und traurig zugleich, dass innerhalb von 15 Minuten alle für sie gepackten Kisten aus dem Sprinter entladen waren und im Inneren des riesigen Lagers verschwanden. Eine Stunde später, waren auch die restlichen Spenden beim Warenlager der Organisation Care4Calais abgegeben. Einen Schlafplatz fanden wie bei einer engagierten Bewohnerin Calais, die privat Freiwilligen eine Übernachtung anbietet trotz Anfeindungen von Nachbar*innen. Die Stimmung in Calais wirkte angespannt, wir haben viel Polizei gesehen und einige Gruppen an Geflüchteten, die bei dauerndem Regen und Frost in der Nacht draußen unterwegs waren.
Am nächsten Morgen ging es direkt zurück, mit leerem Sprinter und einer großen Erleichterung alles geschafft zu haben. Vielen Dank an all die Fremden, neuen und alten Bekannten, meine Freunde und meine Familie, die gespendet, gesammelt und mich bestärkt haben.
1Hintergrundinformationen sind diesem Bericht entnommen
Verfasst von Luise
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