Ein Bericht vom 31.12.15
Nach Absprachen mit anderen Volunteers ist eine kleine Gruppe von uns in ein anderes Camp in der Nähe gefahren (Grande Synthe, Dunkerque). Wir wussten wenig über dieses Camp, als wir eine halbe Stunde Autofahrt später den von vielen Polizisten bewachten Eingang zum Camp sahen. Im Folgenden möchten wir euch gerne unsere ersten Eindrücke schildern, die wir aus verschiedenen Gesprächen und unseren Beobachtungen gewonnen haben.
Das Camp existiert seit etwa einem halben Jahr, ist aufgrund der politischen Lage in den letzten Monaten jedoch enorm gewachsen. Genaue Zahlen gibt es nicht, MSF (Ärzte ohne Grenzen) geht von etwa 2500 Menschen im Camp aus, andere Volunteers gehen von einer deutlich höheren Zahl aus. Einen großen Teil bilden iranische Kurd*innen und Iraner*innen, doch auch hier gibt es keine genauen Zahlen.
Die Zukunft des Camps ist ungewiss. MSF plant ein neues Camp für ca. 2500 geflüchtete Menschen, welches allerdings auch aus Zelten bestehen soll. Am bisherigen Standort des Camps soll im März eine neue Häusersiedlung (nicht für geflüchtete Menschen) entstehen. Da niemand genau weiß, wie viele Menschen wirklich im Camp wohnen, haben viele geflüchtete Menschen die Sorge, dass nicht genügend Platz sein wird, weshalb sie MSF nicht vertrauen und nicht umziehen möchten.
Uns ist aufgefallen, dass es deutlich mehr Frauen und Kinder im Camp gibt als im Jungle. Vielleicht auch deswegen gibt es einen Schutzraum und Rückzugsort speziell für Frauen und Kinder und ebenso einen für Männer.
Lage & Infrastruktur
Schon beim Ankommen verwunderte uns, dass das Camp direkt im Wohngebiet liegt, die Häuser auf der anderen Straßenseite liegen sozusagen direkt vor der Tür. Vergleichsweise ist weniger Polizei auf den Straßen als im Jungle. Im Camp selbst sind überhaupt keine Polizist*innen und es gab bisher keine Ausschreitungen zwischen der Polizei und den Geflüchteten. Auch die Anwohner*innen verhalten sich eher ruhig, es finden keine Demonstrationen oder Proteste statt, sie beschweren sich „nur“ bei Behörden und Politik. Auch hier gibt es kaum französische Helfer*innen, sondern hauptsächlich englische und belgische Volunteers.
Die Wege sind sehr matschig, obwohl es schon lange nicht mehr geregnet hat, Befestigungen gibt es nicht. Die geflüchteten Menschen leben nur in Zelten, Holzhäuser wie im Jungle sind dort nicht erlaubt. Dies liegt daran, dass das Camp illegal ist und nicht weiter wachsen soll. Die Regierung hat deswegen keine festen Unterbringungen erlaubt. Es ist sogar verboten, Werkzeuge mit ins Camp zu bringen.
Dusch- und Toilettencontainer wurden von der Gemeinde und MSF bezahlt und im Camp aufgestellt. Allerdings funktionieren die Duschen bisher nicht. Wir haben gehört, dass Duschzeiten eingerichtet werden sollen, falls diese irgendwann mal funktionieren sollten.
Hilfsgüter
Erst seit kurzem sind überhaupt Hilfsgüter erlaubt, allerdings nur jene, die nicht unmittelbar dazu beitragen, dass das Camp weiter wächst. Dazu zählen Schlafsäcke, Decken und Feuerholz. Die Versorgung mit Hilfsgütern läuft größtenteils über das große Warehouse im Jungle.
Das Feuerholz ist sehr wichtig, da sonst viel Plastik zum Heizen benutzt wird. Der Gestank von verbranntem Plastik bleibt uns in der Nase. Auch Zelte sind nicht erlaubt und werden deswegen illegal ins Camp geschmuggelt.
Andere Volunteers berichten, dass nicht allzu viel passiert, wenn die Polizei sie beim Zeltschmuggel erwischt, sie müssten „nur“ gemeinsam mit den Zelten das Gelände verlassen. Einem neuen Schmuggelversuch steht dann nichts im Wege. Wir gehen davon aus, dass die Polizei die Zelte nicht erlauben darf, aber zwischendurch mal ein Auge zudrückt. Im Vergleich zu den Polizeireaktionen, die wir die letzten Tage erlebten, könnte es also schlimmer sein.
Unterkünfte
Da die wenigen „geschmuggelten“ Zelte allerdings nicht ausreichen, haben einige Volunteers ein Konzept für Hütten aus Haselnussruten entworfen. Auf ein Gerüst aus den Haselnussruten kommt eine „Dämmschicht“ aus Decken und Planen. Diese Hütten sind langlebiger als Plastikzelte, es passen mehr Menschen hinein und sie können besser gedämmt werden.
Heute haben wir zu fünft zwei Stunden lang Haselnusssträucher geschnitten, die für etwa drei dieser Hütten ausreichen. Danach haben wir gemeinsam mit den Menschen, die in die neuen Hütten einziehen, das Gerüst aufgebaut.
Hilfsstrukturen
Anders als im Jungle sind hier nur wenig Langzeitfreiwillige, lediglich vier bis fünf Freiwillige teilen sich die langfristigen Organisations- und Koordinationsaufgaben, ohne die dieses Camp vermutlich nicht so reibungslos laufen würde. Unsere Hauptansprechpartnerin Phoenix ist seit vier Monaten vor Ort, sie ist von der ABC-Initative (Aid Box Convoy).
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass wir mit sehr gemischten Gefühlen durch das Camp gelaufen sind. Einerseits sind die Verhältnisse deutlich schlechter, andererseits waren die Menschen dort super freundlich zu uns, haben uns zu Tee und Keksen eingeladen, wodurch schnell Kontakt geknüpft werden konnte. Das Camp wirkt deutlich friedlicher und wir haben uns dort sehr sicher gefühlt.
Verfasst von Lilofee
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