War uns das Projekt zu groß? Von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Eine unbedachte Investition von Spendengeldern? Hier fasse ich noch einmal die wichtigsten Infomationen und meine Gedanken dazu zusammen.

Ist die Straße wichtig?

Im Jungle gibt es derzeit nur eine Straße, die mit Fahrzeugen befahren werden kann. Entlang dieser Straße ist es leicht, sanitäre Einrichtungen aufzustellen und instand zu halten. Alle Gebiete, die nicht in der Nähe dieser Straße liegen, haben diese Vorteile nicht. In unserem speziellen Fall hätte die neue Straße eine Siedlung von einigen hundert Menschen ans Straßennetz anschließen können. Neben der Funktion als Versorgungsstraße wäre dann auch ein zentral gelegener Evakuierungsweg geschaffen worden. Feste und trockene Wege sind auch hygienisch sinnvoll.

ACTED, die für die Infrastruktur zuständige und zu diesem Zweck vom Staat finanzierte NGO, teilt diese Einschätzung mit uns.

Wieso wir? War das legal?

Weil ACTED für den Bau neuer Straßen kein Geld und auch keine Erlaubnis bekommt, waren wir die einzige Möglichkeit so eine Straße entstehen zu lassen. Eine offizielle Erlaubnis vom Staat sowie ein Auftrag von ACTED an uns waren also nicht möglich. Uns war bewusst, dass unser Vorhaben illegal ist. Wir haben trotzdem nicht mit solchem Widerstand gerechnet, da auch zuvor schon Schotterhaufen tagelang im Jungle lagen, während die bestehenden Straßen befestigt wurden.

War uns das Projekt zu groß?

Das Projekt war groß, wenn nicht sogar riesig. Wir wussten, dass wir daran scheitern können, besonders an unserem Mangel an Erfahrung im Straßenbau, dem Ungang mit Bagger und Walze, am Mangel an Arbeitskraft oder an der zeitlichen Begrenzung des Projektes. Und natürlich habe ich in der Nacht vor der Ankunft der Lastwagen so gut wie gar nicht geschlafen.

Doch die Erfahrungen des nächsten Tages machten diese Sorgen zunichte! Bagger fahren ist mit jugendlicher Motivation und ehrgeizigem Perfektionismus schnell zu lernen, unser Konzept mit den verschiedenen Steingrößen im Sand ging auf, die Anwohnenden halfen uns den ganzen Tag beim Schaufeln von Sand und sogar der Zeitplan hätte gepasst.

Was wurde uns vorgeworfen und welche Interessen wurden verschwiegen?

Regelmäßig wurden wir mit dem Vorwurf konfrontiert, Waffen (Steine) an die Flüchtenden zu liefern. Dass das nicht unsere Intention ist, sollte nach den ersten Metern fertig gebauter Straße eigentlich deutlich geworden sein. Dass es kompletter Unsinn ist, die Steine vom Rand des Camps bis dorthin zu bringen, wo man sie auf Polizisten werfen kann, ebenfalls. Erst recht, da auch die Hauptwege im Camp geschottert sind – die Waffen liegen also sowieso schon auf der Straße.

Welche Interessen könnten sich also tatsächlich hinter diesen vorgeschobenen Argumenten verstecken? Hier kann ich nur spekulieren:

La vie active“, die Organisation, die direkt neben der Straße ein Containerdorf baut, könnte um die Sicherheit ihres eingezäunten Bereichs besorgt gewesen sein. Denn ein reges Treiben direkt neben dem Zaun ist natürlich ein größeres Risiko als vereinzelte Menschen, die gegen den Zaun pinkeln.

Vielleicht auch Konkurrenzdenken: Wir bauen mit großem Einsatz von eigener Arbeitskraft eine Straße, die trotz des sandigen Untergrundes von Kleinlastern befahren werden kann und deren Qualität von allen Seiten sehr gelobt wird. Den finanzielle Einsatz haben wir mit 4.800 Euro pro 200m Straße kalkuliert, was um ein Vielfaches geringer ist als die Summe, die der Staat an Baufirmen zahlt (ca. 15.000 Euro gibt ACTED für einen Straßenabschnitt gleicher Länge aus).

Letztendlich geht es aber vermutlich darum, dass der Jungle und seine Infrastruktur nicht wachsen sollen. Infrastruktur soll es im Interesse der französischen Regierung immer nur so viel geben, wie französische Gerichte als Mindeststandards festlegen. Denn eigentlich wünscht man sich das Gebiet als Baugelände zu nutzen. Man verschließt die Augen davor, dass der Jungle bei dem aktuellen politischen Stillstand mehr als nur mittelfristig weiterbestehen wird.

War also alles umsonst? Spendengelder „in den Sand gesetzt“?

Weil wir die Baumaschinen früher zurückgeben konnten und natürlich auch entsprechend weniger Benzin verfahren haben, konnten wir etwas Geld einsparen. Ca. 1.500 Euro sind aber an Gerätemiete und Kleinigkeiten verloren gegangen.

Was mit dem Schotter passiert, wissen wir noch nicht. Ohne eine behördliche Aufforderung, den Schotter selbst zu entfernen, ist der bloße Abtransport meiner Meinung nach ein Diebstahl. Wir arbeiten derzeit noch daran, die Steine im Wert von 2.700 Euro wieder abholen zu dürfen. Leider können wir selbst nichts sinnvolles mehr damit machen, deshalb werden wir sie an ACTED spenden und zu diesem Zweck auch eine Schenkungsurkunde aufsetzen. ACTED kann damit die Straßen ausbessern und, wenn es irgendwann eine Genehmigung geben sollte, neue Straßen bauen.

Viele Menschen haben von unserem Projekt und dem Widerstand dagegen mitbekommen. Viele Menschen wissen, dass „La vie active“ wesentlich gegen uns gearbeitet hat. Viele wissen, dass die Polizei uns das Leben unnötig schwer gemacht hat. Wir hoffen, dass es sich herumspricht.

Verfasst von Martin

bagger


1 Kommentar

Selbstorganisation in Griechenland - Rigardu e.V. · 7. Februar 2017 um 14:35

[…] kann. Alle Holzkonstruktionen, die ich baute, wurden nach kürzester Zeit wieder abgerissen, der Bau einer Straße wurde verhindert und als Teil einer Suppenküche oder eines Infoteams wurden meine Freunde und ich […]

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