Hier schreibt die Hildesheimer Gruppe mit Malte, Steffen, Philipp und Carla. Wir sind seit etwas über einer Woche unterwegs und seit sechs Tagen in Dunkerque, nachdem wir kurz im Warehouse und im Jungle in Calais waren. Hier haben wir uns der Münchner Vokü angeschlossen, die seit ungefähr drei Wochen vor Ort ist.
Seit Montag, 7. März, wurde das neue Camp in Dunkerque in Betrieb genommen.
Zum alten Camp: Auf dem bisherigen Campgelände soll ab Anfang April ein „EcoVillage“ entstehen, eine ökologisch durchdachte Wohnsiedlung. Direkt über dem Infopoint am Eingang des alten Camps war auf einem großen Plakat eine bunte Grafik aus der Vogelperspektive zu sehen, neben der der Slogan „Vivre dans la ville, habiter un parc“ (in der Stadt leben, einen Park bewohnen), prangte. Direkt darunter der schlammige Weg durch zusammengeschusterte Zelte und Müll überall. Der Schlamm ist überall und darin Berge von Müll, tote Ratten, improvisierte Wege aus Paletten und Drahtzaun, Matratzen und Decken. Die Leute wohnten in Zelten, vorne gab es einen von Geflüchteten betriebenen Stand, wo mensch aus Belgien importierte Zigaretten und Drehzeug kaufen konnte, es gab Frauen-und-Kinder-Zelte, geschlechtergetrennte Sachspendenausgabezelte und wenn mensch ganz nach hinten durchgeht, ist da ein Wäldchen und ein See. In dem Wald soll es hin und wieder Mafia-Schießereien gegeben haben. Ganz hinten ist die Autobahn, wo Haufen von Gummistiefeln liegen, von dort aus begannen Fluchtversuche.
Zum neuen Camp: Betrieben wird es großteils von Médecins sans Frontières (denen das Gelände gehört) und Utopia 56, einer Gruppe, die sonst Festivals organisiert und bisher für einen Teil der Sanitäranlagen im Camp in Calais verantwortlich war.
Der hauptsächliche Kritikpunkt am neuen Camp war der Umstand, dass verhältnismäßig anständige Lebensumstände wie beheizbare Wohnräume, eine Wäscherei, bessere Sanitäranlagen und so weiter versprochen wurden, das Ganze aber in einem Aufbau, der eine Registrierung der Geflüchteten extrem einfach macht – Stacheldrahtzäune an den Seiten eines langen Schlauchs, überwachte Eingänge, aber keine Polizei.
Von außen betrachtet gibt es viel weniger Schlamm als im alten Camp, die Menschen wohnen statt in Zelten in kleinen durchnummerierten Hütten aus Sperrholz, die alle gleich aussehen, und es gibt mehr oder weniger feste Wege aus Schotter, auch wenn immer noch alles wegen des häufigen Regen nass ist und Pfützen an Wegrändern sind. Die Toiletten sind keine Chemietoiletten mehr sondern Container mit Hock-Klos und fließendem Wasser.
Die Münchner Vokü, deren Funktion im alten Camp wegen der ausreichenden Versorgung durch den von Schweizer Freiwilligen betriebenen Rastplatz weniger in Essensausgabe als in Unterstützung der Infrastruktur durch Wege bauen oder die Bereitstellung einer Waschmöglichkeit bestand, wurde hier im neuen Camp als eine von drei Quellen von Nahrung eingeplant und sollte das Frühstück stellen. Für Mittag und Abendessen sind andere Organisationen zuständig. Hierfür hatten Medecins sans Frontières 500 Mahlzeiten eingeplant.
Montag, am ersten Tag des neuen Camps, stellten sie fest, dass trotz der geplanten 500 viel mehr Menschen den Umzug in das neue Camp mitgemacht hatten (was kaum überraschen kann, weil einfach viel mehr Menschen im alten Camp gewohnt haben) und so wurde die Vokü spontan auch für die Austeilung von Abendessen eingespannt.
Sonntag Abend waren wir noch im alten Camp, da wurde noch ein Haufen Gaskartuschen und Deodosen in Feuer geworfen und ein Holzhäuschen abgefackelt, bis die Feuerwehr angerückt ist. Montag, am Tag des angekündigten Umzugs, wurden die Geflüchteten in Bussen aus dem alten ins neue Camp gefahren. Aber ab einem Punkt waren die Kapazitäten ausgeschöpft, die Hütten befinden sich momentan immer noch im Bau. Die Menschen standen also, nachdem ihnen feste Hütten und ein hygienischeres durchstrukturiertes Umfeld versprochen worden war, vor verschlossenen Toren und wurden wieder zurückgefahren. Das nachdem sie berechtigterweise davon ausgegangen waren, dass die Zelte im Schlamm endgültig der Vergangenheit angehören und sie sie teilweise verbrannt hatten. Verständlicherweise ist deshalb die Stimmung im alten Camp, wo Montagnacht daher immer noch Leute schlafen mussten, sehr aufgeheizt, es wurde sehr viel angezündet, Freiwillige mussten Nachtwache stehen, um nicht in Gefahr zu laufen, dass auch ihre Zelte irgendwann in Flammen stehen.
geschrieben von Carla
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