Aktion – Reaktion – Wirkung … Darin besteht unsere Hoffnung für unser Engagement im Projekt „Border Violence“.

Seit Frühjahr 2017 bemühen wir uns, möglichst viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen zu dokumentieren. Interviews mit Opfern von Polizeigewalt, Fotos der entstandenen Verletzungen und Audioaufnahmen bilden die Grundlage für mittlerweile 135 Berichte, die wir seit Dezember 2017 auf einer Datenbank veröffentlicht haben: www.borderviolence.eu

Die erhoffte Reaktion: Größtmögliches Presseecho sowie die Aufmerksamkeit (verantwortlicher) politischer Akteure.

Die erhoffte Wirkung: Ein Ende der gebilligten Praxis, die EU-Außengrenze durch Menschenrechtsverletzungen vor Einwanderung zu schützen.

Die Veröffentlichung der Datenbank liegt zehn Wochen zurück, Gelegenheit also, einen Rückblick zu wagen und zu sehen, ob Reaktion und Wirkung wie erhofft eingetreten sind.

Die mediale Öffentlichkeit

Mit einer vielfach veröffentlichten Pressemeldung der dpa (Deutsche Presseagentur) haben wir zahlreiche Medien in Europa und sogar darüber hinaus erreicht. 33 Berichterstattungen sind uns bekannt, darunter in zahlreichen europäischen Sprachen, aber auch auf taiwanesisch. Die eigenen Recherchen einiger großer Medienhäuser haben zusätzlich viele Leser*innen erreicht. Al Jazeera Englishi und BalkanInsightii haben im Rahmen ihrer Recherchen Anfragen an die betroffenen Innenministerien der Länder Kroatien, Ungarn und Slowenien gestellt. Die darauf folgenden Dementi sind an dreister Ignoranz nicht zu übertreffen. Das ungarische Innenministerium schreibt etwa, es wünsche „auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die ungarische Polizei die Grenzen der EU und Ungarn schützt“iii. Menschenrechtsverletzungen sollen so mit dem Verweis auf den Schutz der EU-Grenzen legitimiert werden.

Ein Sprecher der kroatischen Polizei schrieb gegenüber Al Jazeera in einer E-Mail, dass die Behörden in den von ihnen untersuchten Fällen „kein unprofessionelles oder ungesetzliches Verhalten von Polizeibeamten gegenüber Migranten festgestellt haben“iv. Aus dem slowenischen Innenministerium ist zu hören, die slowenische Polizei habe sich verpflichtet, „hohe Standards in Bezug auf Professionalität und Rechtmäßigkeit ihrer Arbeit zu wahren…“. Weiter heißt es: „… insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte, waren Ihre Behauptungen eine große Überraschung. Wir haben keine Kenntnis über derartige Fälle von Push-Backs und Gewalt durch die slowenische Polizei(ebd.).

Noch immer erhalten wir Anfragen von recherchierenden Redakteur*innen. So z.B. im Rahmen der Berichterstattungen zu einem im Januar erschienenen Bericht auf Spiegel Onlinev oder einem Interview beim Webradiosender detektor.fm zu unserem Border-Violence-Projektvi. Auch für das Politikmagazin MONITOR des ARD sind wir Ansprechpartner für Recherchen gewesen.

Europapolitische Akteure reagieren (nicht)

Wir mussten viel über Strukturen und Zuständigkeiten innerhalb der Europäischen Union dazulernen. Vor allem aber darüber, welche EU-Institutionen für unser Anliegen nicht zuständig sind oder sein wollen. Die Rückmeldungen deutscher Politiker*innen der Bundestagsfraktionen fallen allesamt in die Kategorie „nicht erwähnenswert“, falls überhaupt welche erfolgt sind.

Es gibt eigens eine EU-Grundrechtsagentur (European Union Agency for Fundamental Rights), deren Aufgabe es ist, sicherzustellen, dass die „Grundrechte der Menschen in der EU geschützt werden“, wie auf deren Homepage nachzulesen ist. Sie wurde „von der Europäischen Union eingerichtet, um den Organen und Mitgliedstaaten der EU unabhängige faktengestützte Grundrechtsberatung bereitzustellen“vii.

Die erste Antwort auf unser Anliegen: Der Link zur Datenbank funktioniere nicht. Auf die erneute Rückfrage nach dem weiteren Vorgehen der Agentur dann die Antwort: „Danke. Wir planen dies im naechsten Jahresbericht der Grundrechteagentur anzusprechen. MfG, Adriano Silvestri“.

Ein weiterer Kontaktversuch an die Grundrechtsagentur bescherte uns Hinweise, welche anderen (!) EU-Institutionen für unser Anliegen zuständig sein könnten. Informationen, die wir durch eigene Recherche bereits herausgefunden hatten.

In ähnlichem Tenor ist auch die Antwort des Unterausschusses für Menschenrechte des Europäischen Parlaments (DROI) gehalten. Frau Kammerevert schreibt: „In den von Ihnen beschriebenen Fällen liegt die parlamentarische Zuständigkeit nämlich nicht beim Unterausschuss für Menschenrechte, (…) der sich ausschließlich mit Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten befasst, sondern beim Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, der für die uneingeschränkte Achtung der Grundrechtecharta innerhalb der EU (und) die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (…) sorgt.“ Da uns diese Antwort erst Mitte Februar erreichte, steht die Reaktion des besagten Ausschusses für bürgerliche Freiheiten noch aus.

Die deutsche Vertretung der Europäischen Kommission konstatiert in ihrer Antwort, dass Sie unsere Auslegung der Rechtslage teilt: In der Tat schreibt das EU-Recht vor, dass Flüchtende einen Asylantrag an der Außengrenze der Europäischen Union stellen können. Grenzschutzbeamte müssen bei der Durchführung von Grenzkontrollen das Gebot der Nicht-Zurückweisung beachten. Menschen dürfen nicht in einen Drittstaat rückgeführt werden, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.“

Herr von Peter (deutsche Vertretung der EU-Kommission) betont den engen Austausch mit seinen Kollegen in den betroffenen Ländern (dortige Kommissionsvertretungen): „Kollegen in den Vertretungen der Kommission in Zagreb, Ljubljana und Budapest haben mir berichtet, dass sie das Vorgehen der nationalen Behörden aufmerksam verfolgen und mit den zuständigen Stellen regelmäßig in Kontakt sind.“

Auch auf die Zusammenarbeit mit NGOs vor Ort verweist er in seiner Antwortmail. Rat- und fassungslos machte uns die Auffassung, unsere Dokumentationen sei für ein Aktivwerden der Europäischen Kommission nicht ausreichend:

Die Europäische Kommission wird allen Hinweisen, die Sie übermitteln, nachgehen, soweit diese konkret genug sind. Die in Ihrer E-Mail verlinkten Artikel berichten über mögliche Verstöße gegen europäische und internationale Standards, sie sind allerdings zu allgemein gehalten, um die geschilderten Sachverhalte rechtlich prüfen zu können. Die Information, die Sie übermitteln, ist dennoch wertvoll, denn sie fließt in unsere fortlaufende Bewertung der Situation vor Ort ein. Insofern möchte ich Ihnen nochmals für Ihre E-Mail danken.“

Dabei ist es die EU-Kommission, die innerhalb der EU z.B. durch ein Vertragsverletzungsverfahren die weitaus größte Wirkungsmöglichkeit hat – etwa im Vergleich zum EU-Parlament, welches lediglich auf „Missstände hinweisen“ kann, wie uns aus den Reihen des Parlaments zu verstehen gegeben wurde.

Und sonst?

Durch den Bericht von Al Jazeera wurde auch das UN-Büro für Genozidprävention und Schutzverantwortung (United Nations Office on Genocide Prevention and The Responsibility to Protect) auf unsere Datenbank aufmerksam und fragte nach unseren Daten für ihre Monitoring-Arbeit.

In zwei Fällen wurden wir aus dem Bereich Forschung & Wissenschaft angeschrieben (Harvard University sowie aus der Schweiz das „International Relations/Political Science Department, Graduate Institute of International and Development Studies“). In einem Fall konnten wir ein Treffen mit unserem Team vor Ort arrangieren, um sie bei ihren Recherchen und Forschungen zu unterstützen.

Das zeigt uns, dass wir als Expert*innen in unserem Arbeitsbereich ernst genommen werden – eine zusätzliche Motivation, an diesem Projekt weiterzuarbeiten.

Das Fazit

Ein träges EU-System stützt und schützt die Praxis von Menschenrechtsverletzungen zum Schutz der EU-Außengrenzen, wodurch der europäische Wunsch nach Abschottung gegen Migration erfüllt wird. Dies ist auch die – wenig mutmachende – Rückmeldung von großen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, die bereits die Erfahrung machen mussten, wie gering das europäische Interesse daran ist, mit diesen Missständen aufzuräumen.

Trotz medialer Öffentlichkeit, längst nicht nur durch unsere Veröffentlichungen, und obwohl zuständige Institutionen wie die Innenministerien der betroffenen Länder oder EU-Organe über die Menschenrechtsverletzungen Kenntnis haben, sind uns keine Bemühungen bekannt, daran etwas zu verändern. Zusammengefasst lesen sich die Rückmeldungen ernüchternd: Dementi, keine Reaktion, „keine Zuständigkeit“ oder „Faktenlage nicht ausreichend“.

Selbst wenn unsere Dokumentationen nicht als gerichtsfeste Beweise herhalten können: Reichen diese konkreten Hinweise auf akute Gesetzesverstöße durch Mitgliedstaaten der EU etwa nicht aus, um EU-Institutionen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu bewegen und den Vorwürfen nachzugehen?

Ist es etwa die Aufgabe kleiner NGOs, diese zu recherchieren? Oder müsste es nicht auch die Aufgabe von z.B. der Kommission oder der Grundrechtsagentur (FRA) sein, die Einhaltung von Menschenrechten durch die Mitgliedstaaten zu überprüfen? (Zitat aus der Aufgabenbeschreibung der FRA: Die FRA erreicht ihre Ziele „durch die Erhebung und Analyse objektiver, verlässlicher und vergleichbarer Daten zu einer Vielzahl von Grundrechtsfragen in der Europäischen Union.viii). Einen begründeten Verdacht liefern unsere und andere Berichte ja wohl mindestens. Es bleibt viel Ernüchterung und gleichzeitig die Erkenntnis, wie wichtig diese mühsame Arbeit ist.

Und weiter?

Wir werden uns in den kommenden Wochen mit dem Beschwerdeverfahren der Europäischen Kommission beschäftigen. Nach einer Rechtsberatung wollen wir darüber erste Fälle zur Beschwerde bringen und erhoffen uns so eine weiterführende Reaktion der Kommission.

Ende des Jahres 2017 haben wir zudem zwei Fälle dokumentiert, in denen mutmaßlich deutsche Polizeibeamte (deren Anwesenheit an der ungarisch-serbischen Grenze sich durch ein Frontexmandat zum Schutz der EU-Außengrenzen erklären lässt) in Gewalttaten gegenüber flüchtenden Menschen verwickelt waren. Diese Fälle werden wir über ein weiteres Beschwerdeverfahren bei Frontex einreichen. Wir werden nicht lockerlassen, uns weiterhin für die Wahrung von Menschenrechten einsetzen und politische Reaktionen einfordern.

Verfasst von Jakob


Rigardu-Pressemitteilung vom 08.12.2017: https://archiv.rigardu.de/wp-content/uploads/2017/12/Border-Violence-PM.pdf

[i] http://www.aljazeera.com/news/2017/12/group-refugees-abused-eu-border-forces-balkans-171211123811884.html

[ii] http://www.balkaninsight.com/en/article/police-violence-against-refugees-on-balkan-route-12-08-2017

[iii] Zitat BIRN: „The Hungarian Interior Ministry told BIRN that it wished to draw ‚attention to the fact that the Hungarian police protect the borders of the EU and Hungary’“ (http://www.balkaninsight.com/en/article/police-violence-against-refugees-on-balkan-route-12-08-2017)

[iv] http://www.aljazeera.com/news/2017/12/group-refugees-abused-eu-border-forces-balkans-171211123811884.html

[v] http://www.spiegel.de/panorama/fluechtlinge-auf-der-balkanroute-in-serbien-sie-nennen-es-das-spiel-a-1179601.html

[vi] https://detektor.fm/politik/gewalt-eu-grenzen

[vii] http://fra.europa.eu/de/about-fra

[viii] http://fra.europa.eu/de/about-fra/what-we-do


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